Kann man die Sprache einfach so ändern?

Hallo zusammen,
hier ist mein erster Eintrag auf Deutsch! Ich frage mich: kann man wirklich die Sprache einfach ändern? Die Deutschen haben es schon zweimal gemacht. Ihr denkt: WAS?! Blödsinn. Doch: Mit zwei Rechtschreibungreformen. Und jetzt will ein Professor noch etwas in der Sprache ändern: er will Deutsche anders zählen lassen. Ein Beispiel: 21 = twenty-one. Auf Deutsch: einundzwanzig. Nee. Für diesen Professor soll es "zwanzigeins" ausgesprochen werden. Lesen wir mal…
Das Problem kennt jeder: Man tippt die sechsstellige Nummer ins Telefon, doch statt Tante Erna meldet sich am anderen Ende eine wildfremde Stimme. „Oh, falsch verbunden“, murmelt man, doch das Display zeigt, dass nicht das längst ausgestorbene Fräulein vom Amt Schuld ist sondern wieder mal ein Zahlendreher. Die leisten sich die Bundesbürger auch im modernen Zahlungsverkehr mit bundesweit allein sieben Milliarden Banküberweisungen im Jahr sehr viel häufiger als viele andere Völker. Der Grund: Die Deutschen sprechen im Computerzeitalter mehrstellige Zahlen noch immer so verdreht aus wie ihre Altvordern, die mit Kerbhölzern rechneten. Das will der Verein „Zwanzigeins“ ändern – und kämpft um Aufklärung.
„Das Problem, warum wir ‘einundzwanzig’ sagen, aber ‘zwanzigeins’ schreiben, ist 500 Jahre alt“, sagt der Vereinsvorsitzende und Bochumer Mathematikprofessor Lothar Gerritzen. Damals, im Jahr 1482, wurden die arabischen Ziffern erstmals in die deutsche Schriftsprache aufgenommen, und es wurde zudem empfohlen, sie von links nach rechts auszusprechen, wie im Arabischen oder Lateinischen auch: Etwa die Zahl 21 als „zwentzigeins“, heißt es im ersten deutschen „Rechenbuch“ von Jakob Köbel.
Dass Köbel sich jedoch nicht durchsetzte, lag auch an Martin Luther, der, dem Volk aufs Maul schauend, in seiner Bibelübersetzung bei der üblichen deutschen Sprechweise blieb. Die war wiederum vor 4000 Jahren entstanden: Mangels Ziffern ritzten die Indogermanen damals Zeichen in ein Kerbholz: Immer zunächst die Einerzahl – ein Strich für eine Eins, zwei Striche für eine Zwei und so weiter – und dann erst die Zehner – jeweils ein X als Symbol gekreuzter Hände für eine Zehn. Das Zeichen IXX wurde deshalb als einundzwanzig gelesen.
In den vergangenen 500 Jahren haben zwar immer wieder Schriftsteller und Mathematiker auf das Problem der verdrehten Zahlenaussprache hingewiesen. Doch sie scheiterten allesamt an einer Obrigkeit die, wie auch im Fall von Gerritzens Verein, auf Änderungswünsche eher unwirsch reagiert. So wie das hessische Kultusministerium in einen Antwortschreiben an ein Vereinsmitglied: „Sehr geehrter Herr… Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, die Benennung von Zahlen in der deutschen (oder einer anderen) Sprache mit den Kategorien der Logik zu messen. Die Zahl 15 heißt im Deutschen nun einmal ‘fünfzehn’ und nicht ‘zehnfünf’. Niemand kann dies beliebig ändern“.
Allerdings führte Norwegen wegen volkswirtschaftlicher Probleme mit der verdreht-germanischen Zahlensprechweise in Schulbüchern schon 1951 die logisch korrekte Sprechweise ein. Heute sind die Kerbholzzähler in ganz Skandinvien zumindest in der Geschäfts-, Bank- und Postsprache in der Minderheit. Hierzulande müssen sich dagegen mehr als fünf Millionen Legastheniker und Dyskalkuliker sowie unzählige Schüler ohne besondere Lese- und Rechenschwäche damit quälen, dass sie beim Hören der Zahl 84356 von der zweiten Ziffer zur ersten springen müssen, dann zur dritten, zur fünften, um mit der vierten zu enden. „Dass das überhaupt funktioniert, ist verblüffend“, sagt Mathematik-Professor Gerritzen.
Leicht fällt das vielen Schülern nicht. Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands, weiß zu berichten, dass selbst Abiturienten beim Hören einer dreistelligen Zahl erst links den Hunderterwert schreiben, dann eine Lücke lassen, um rechts den Einer zu notiern und danach die Lücke mit dem Zehnerwert füllen. Vor allem türkischstämmige Schüler, die in ihrer Muttersprache „richtig“ zählen, haben Probleme mit der verkehrten deutschen Zahlenwelt.
Karlsruhe Dort, bei Schülern und Lehrern, trifft Gerritzen, der nun das Buch „zwanzigeins“ herausgegeben hat, auch am ehesten auf offene Ohren. Die Wald-Schule in Bochum hat nach seinen Angaben die unverdrehte Sprechweise inzwischen in den Unterricht eingeführt. Und zu einem unlängst von Gerritzen gehaltenen Vortrag seien mehr als 500 Lehrer und Schüler geströmt. „Es wird aber noch mindestens 25 Jahre dauern, bis sich was ändert“ befürchtet Gerritzen. Dann wäre der Mathematiker neunzigzwei Jahre alt.

Source : ● Mathematik: Professor will Deutsche anders zählen lassen by Jürgen Oeder for Welt Online, 6. Oktober 2008

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